Tag 10 – Pai – Chiang Mai Rückfahrt
Seit nun 10 Tagen versuche ich um 6 Uhr aufzustehen, mit der Sonne, und seit 10 Tagen stell ich meinen Wecker wieder aus und schlafe bis 9. Das Bungalowressort-Frühstück überrascht uns heute mit einer Brühe aus Reis und darin schwimmendem, grauen Schweinehackfleisch. Wir versuchen es gar nicht erst und frühstücken im Stadtzentrum ganz klassisch europäisch Omelette, Fruchtsäfte und Sandwiches. Eigentlich wollten wir uns heute LKW Reifen ausleihen und damit den Fluss heruntergleiten. Doch meine juckenden Fliegenbisse (es sind mindestens 95, ich habe sie gezählt) sind inzwischen zu großen Flatschen angeschwollen und treiben mich in den Wahnsinn. Ich bleibe also heute in meiner langen Hose und wir vertreiben uns die Zeit bis zur Rückfahrt in einem Café. Ich schreibe Reisetagebuch, Karime guckt in die Luft, gedankenversunken.
Später fahren wir mit 11 Chinesen in einen Minivan gequetscht 3 Stunden zurück nach Chiang Mai. Karime fröstelt im Bus, was recht merkwürdig ist, da ich immer die erste bin, die sich über die Klimaanlage beschwert. Und ich könnte mir meine lange Hose vom Leib reißen.
Zurück im Pao Come erklärt sich das Frösteln recht eindeutig als Karime dreimal hintereinander den Porzellangott anbetet. Unsere Hausmama kocht ihm einen heißen Tee und ich besorge fix Cola, Bananen und Salzstangen und beglückwünsche Karime zu seiner ersten thailändischen Durchfall-Kotzeritis. Der ist jedoch bereits weggeschlummert und verlässt das Bett auch nicht mehr für die nächsten 24 Stunden. Dr. Google erklärt mir später, dass mich wohl ein Schwarm Kriebelmücken so zurichtete.
Tag 11 – Chiang Mai.
Eine zerbissene Katrin mit fies juckenden Beinen und ein immer noch grünlich schimmernder Karime. Ich lese, hole ab und zu was zu essen, Karime schläft. Mehr gibt’s heut leider nicht zu erzählen.
Tag 12 – Chiang Mai
Karime geht es heute ein bisschen besser und wir verschlendern fast den gesamten Tag. Am Abend beginnt das Yi Peng Fest (Loi Krathong) und wie alle warten wir eigentlich nur darauf. Auf der Tha Phae Road setzen wir uns in ein kleines Teestübchen, Karime trinkt heißen Honigtee mit frischem Zitronensaft. Der Barbesitzer, ein junger, schelmenhafter Typ mit Baskenmütze und Hemd erinnert mich an meinen Freund Adam Goldmann aus Berlin und ich überlege, ob er wohl eigentlich Schriftsteller oder Künstler ist oder mindestens ein junger avantgardistischer Intellektueller und stelle mir vor, wie er bei frisch gebrühten Tees und grünem Teegeschirr mit seinen Freunden zusammensitzt und über Politik quatscht. Er gibt uns schließlich den entscheidenden Tipp für das heutige Fest und malt Kringel in unseren Stadtplan. Karime braucht eine Pause und so gehen wir durch Hinterstraßen voll chinesisch-thailändischer Leuchtreklame, billigen Krimskramsläden und Suppenküchen auf direktem Weg zurück zum Zimmer. Während Karime sein Mittagsschläfchen hält, sitze ich auf dem schattigen Balkon und lese in Büchern, die ich von einem „Umsonst“-Regal in einem Hostel in Pai mitgehen lassen habe. Ich glaube, ich würde wohl lieber noch ein Kleidungsstück weggeben, als ein interessantes Buch. Inzwischen schleppe ich fünf Stück durch Thailand, plus zwei Notizbücher. Sobald das echte Leben eine kurze Pause einlegt, flüchte ich mich in meine Bücher und renne dort weiter in Gedanken, Seite um Seite durch hektische, nervöse, impulsive, spontane Literatur, enthusiastische Ideen und nervöse Stile. Vielleicht ertrage ich selbst nicht die Ruhe zum Innehalten und Reflektieren. Ich bin quasi das Gegenteil des Buddhisten. Ich will das rohe, ehrliche Leben und bin mir doch nicht immer sicher, ob die endlose Straße wirklich die ehrliche ist.
Um 4 Uhr nachmittags wollen wir los. Auf dem Universitätsgelände außerhalb der Stadt sollen heute über 10000 Menschen gleichzeitig ihre waschmaschinengroßen Papierlampions fliegen lassen. Für uns klingt das nach großem Spektakel. Wir laufen nach Norden den Highway entlang und planen auf eines der roten Trucktaxis (Songthaews), in dem bereits andere Touristen Richtung Uni fahren, aufzuspringen. Der Stau beginnt bereits an der Altstadtgrenze. Nach einer halben Stunde sehen wir eine kleine Gruppe Chinesen in einem Songthaew auf unserer Route und springen rein. Leider können wir den Fahrer nicht davon überzeugen, dass wir bereits vorher zusammengehörten und er knöpft uns 200 Baht extra ab; dafür wird er 4 Stunden vor Ort auf uns warten. Der stinkende, schwarz qualmende Truck fährt uns schließlich hoch zur Uni und ich grübele hustend, ob diese Dreckschleuder mein Leben gerade um 5 Jahre verkürzt. Auf dem Gelände begrüßen uns ganze Delegationen buddhistischer Schüler und Studenten mit gefalteten Händen und thailändischen Gesängen. Es dämmert bereits und wir schauen erwartungsfroh auf den großen weißen Hügel mit der goldenen Buddhastatue am Ende der Festwiese. Karime rennt zielsicher darauf zu und wird sogleich wieder weggeschickt. Alle Fotografen in Buddhanähe haben einen Presseausweis. Er wird es noch ein paar Mal vergeblich versuchen.
Wir setzen uns unauffällig in die vorderste Reihe und warten auf die Kommandos, welche die 4 mikrofonverstärkten Moderatoren auf Thai, Chinesisch und Englisch über die Wiese brüllen. Ehe die richtigen Mönche ihren Platz rund um die Buddhastatue einnehmen, sollen wir 10000 Amateur- und Möchtegernbuddhisten eine ordentliche Verbeugung lernen. Auf ein langes „Khraaaaaa“ (oder so) verbeugen wir uns alle kniend und mit gefalteten Händen Richtung Buddha. In meinem Kopf singt der arabische Muezzinbuddha dazu „Allahu Akbar“ und ich grinse mir einen ab. Karime sitzt und guckt. Verbeugen ist nicht so sein Ding. Das ganze üben wir dann bis es dunkel wird. Endlich sind die Mönche da. Profimäßig verbeugend linse ich auf die Laternen und hoffe, dass wir sie jetzt endlich anzünden können, doch es folgt eine einstündige Meditation auf Thai. Umgeben von tausenden entspannt aussehenden Buddhaanwärtern mit geschlossenen Augen und im Schneidersitz, schauen wir etwas sehnsuchtsvoll auf die Wiese hinter den Bäumchen, von der seit Stunden hunderte Laternen emporsteigen. Der Wind trägt uns ab und zu Schwälle von lachenden Stimmen herüber. Heidengaudi. Wir warten brav auf den Buddhistengaudi. Dann ist es endlich soweit. Mit großem Tamtam werden circa 2000 Dochtkerzen auf der Wiese entzündet. Auf einmal ist hier großes Treiben ausgebrochen. Alle springen auf und entfalten ihre Laternen, die auch sogleich entzündet werden. Tausende Wünsche und Gebete werden in die sich langsam aufblähenden Lampions gehaucht. Gespanntes Warten auf ein Zeichen. Und da kommt der Countdown. Auf einmal steigen tausende weiße, heißluftgefüllte Laternen gleichzeitig in die Höhe, Jubeln, Klatschen, alle Entspannung ist aus den Gesichtern gewichen. Die Leute strecken euphorisch ihre Hände in die Luft und ihren davonfliegenden Laternen hinterher, andere entfalten bereits die nächste. Die Moderatoren versuchen behutsam die Menschen an ihre einmeditierte Genügsamkeit und Gutherzigkeit zu erinnern und bitten darum gefundene Geldbörsen und Handys doch abzugeben. Wir überlegen kurz unser schwarzes I-Phone abzuholen und erinnern uns dann doch, dass wir gar kein schwarzes I-Phone besitzen. Und Buddha ja sowieso nicht. Um 9 Uhr sitzen wir wieder mit unseren neuen chinesischen Freunden in unserer roten Dreckschleuder und tuckeln in einer Autowalze zurück Richtung Stadt. Die Knie der chinesischen jungen Frauen sehen untertrieben gesagt mächtig zerkratzt aus, eher nach üblen, suppenden Fleischwunden. Ein Überbleibsel eines Mopedunfalls auf den kurvenreichen Straßen von Pai. Wir beschließen unsere Mopedambitionen bis auf Weiteres über Bord zu schmeißen.
Tag 13 – Chiang Mai
Den letzten sauberen Schlüpper am Leib, beginnt dieser ruhige Tag zunächst mit einem Gang zum Waschsalon. Gegen Mittag klingelt das Telefon. Totti und Philipp, Freunde aus Berlin, sind ebenfalls in Chiang Mai und zudem noch obdachlos. In paar Minuten später haben wir neue Mitbewohner. Gemeinsam erkunden wir heute die Stadt und entzünden am Abend noch drei Laternen, die wir mit Team Sabotage Stickern schmücken. Eine davon fliegt geradewegs in ein Stromkabel über einer Brücke und fällt binnen Sekunden komplett brennend in die johlende Menschenmenge. Sabotage halt. Schnell wechseln wir die Straßenseite und entzünden den nächsten, hoffentlich glücklicheren Lampion, der nach Startschwierigkeiten dann auch kraftvoll in den Himmel steigt. Hoffentlich ein gutes Omen.
Tag 14 – Chiang Mai
Der Tempel auf dem Doi Suthep soll das Ziel des Tages sein. Nach kurzem Verhandeln sitzen wir in im roten Taxitruck Richtung Tempelberg. Oben angekommen ist mir unendlich schlecht. In einem Moment typischem, katrineskem Geistesblitztums schütte ich mir eine ganze Dose Cola in den Magen und laufe dabei die knapp 400 Stufen zum Tempel hoch. Oben angekommen breche ich fast dem Buddha in den Schoß. Ganze Busladungen Menschen wälzen sich durch den Tempel. Ich beobachte Mönche, die kniend Touristen fotografieren und verziehe mich in den Schatten unter die schön verzierten Giebeldächer, wo ich ungefragt plötzlich mit Weihwasser bespritzt werde. Mit der gesegneten Kamera beschließe ich das Spektakel Spektakel sein zu lassen und knipse ebenfalls Touristen. Die blubbernde Cola quält meinen Magen.
Am Abend setzt monsunartiger Regen ein und macht dem Laternenfest ein endgültiges Ende. Wir hocken in unserem Gästehaus und spielen Rommée. Draußen trotzen die Harten dem Tropensturm und entzünden hunderte Raketen und Silvesterknaller. Ich stelle mir kurz vor, wie sich die Angst anfühlte, wäre das hier Aleppo oder Bagdad, und frage mich bei wem man sich eigentlich dafür bedanken muss, dass man so viel Glück im Leben hat und andere nicht. Und was sie dafür können. Nichts. Zufall. Mein schmerzender Magen schenkt mir makabre Gedanken.
Gegen 2 Uhr Nachts verlässt mich dann endlich mein undankbares Frühstück über die Luke über die ich es reingelassen habe. Fröstelnd, aber ein wenig erleichtert, döse ich ein paar Stunden weg.
Tag 15 – Chiang Mai
Unsere dritte Woche bricht an und wir wollen gern weiter nach Chiang Rai. Doch mein 38° heißer Kopf kann keinen klaren Gedanken fassen und so schaue ich traurig auf meine im Zimmer verstreuten Klamotten und rolle mich letztendlich wieder auf dem Bett zusammen. Auch Totti besucht seit Stunden im 10 Minutentakt die Toilette. Also bleiben wir alle noch einen Tag länger. Karime und Philipp gehen in den Zoo. Totti und ich erwachen erst als es bereits dämmert. Da meine Beine immer noch jucken als hätte ich mir die Krätze eingefangen, schleppe ich mich am Abend noch zu einer Apotheke und kaufe mir die vierte Hautcrème. Die ersten drei Kortison- und Antibiotikacrèmes halfen eher mäßig, meine Hoffnung gilt nun Fenistil. Philipp isst unterwegs eine große Portion Ente. Er wird es heute Nacht noch bereuen.