7.12.14 von Munnar nach Ernakulam und Gokarna

Im Bus einer Schulklasse geht es zurück nach Ernakulam. Etwa 40 Jugendliche springen aufgeregt durch den über die Berge rasenden, gefährlich wankenden Bus, quetschen sich zu zweit oder dritt auf einen Sitz oder auf die wenigen freien Plätze auf dem Boden. Immer wieder stimmen sie Lieder an, erzählen Geschichten und lachen viel und so bleibt es fünf Stunden lang laut und fröhlich. Ihre Taschen und Koffer liegen links neben dem Fahrer, gestapelt bis zur Busdecke und angelehnt an Fenster und Frontscheibe, eine Felswand aus Reisetaschen, neben der man den Fahrer nur erahnen kann. Wir sitzen ganz vorn, eingekeilt zwischen Koffern und Jugendlichen und gemeinsam auf einem Sitz, der entweder für eine Person oder für zwei sehr schlanke Kinder gedacht war. Unter meinen Füßen befindet sich das Busrad, so liegen meine Knie stundenlang angewinkelt an der Stange, die uns vor der Kofferwalze schützt. Mir ist schlecht. Der Haufen verdeckt mir die Sicht auf die kurvige Straße und Kopf und Magen mögen keine Überraschungen. Gegen unseren Busfahrer ist Vettel ein Witz. Ich bin überzeugt – würde man ein halbes Dutzend indische Busfahrer zur Formel 1 einladen – Vettel und seine Preppy-Boy-vom-GoKart-in-Formel-1 Kollegen hätten keine Chance mehr auf ein Treppenplätzchen. Unser Busfahrer überholt vor einer viel befahrenen Kreuzung hupend und schwarzen Qualm prustend einen anderen Reisebus, welcher eine Rikscha überholt, die gerade ein Moped überholt. Dabei fährt er 100kmh in der Klippenkurve, die keine Leitplanken hat und links etwa 1500m abfällt (Linksverkehr). Währenddessen füttern ihn die aufmerksamen indischen Schüler mit Samosas. Die Bremsen quietschen verdächtig nach alt, die Kupplung riecht giftig, neben den offenen Fenstern hängen tellergroße schwarz-orange Spinnen mit riesigen Vorderbeinen in den Bäumen und drohen jederzeit von mitgenommenen Ästen in mein Gesicht gewedelt zu werden. Ich starre durch meinen Fensterschlitz, kaue manisch ein Kaugummi nach dem anderen und wiederhole mein Mantra: Mir ist nicht schlecht, einfach rausgucken, kauen, rausgucken, kauen. Fünf Stunden lang. An einer Haltestelle springe ich kurz raus und rufe dem Gemischtwarenhändler bereits auf halbem Weg entgegen, dass ich eine Packung Kaugummis brauche. Er hat nur einzeln verpackte. Ich nehme alle.
Weiter geht’s. Die Schüler beschäftigen uns derweil mit Gastfreundschaft. Da wir die meiste Zeit unbeweglich in unserer Ecke verharren, werden wir von ihnen liebevoll mit Snacks und Getränken versorgt, dürfen frisch geerntete Möhren aus Munnar und frittierte Bananen knabbern und endlos viele Fragen beantworten. Dabei wechseln sie sich buchstäblich ab. Immer wieder erscheint neben uns ein neues fröhliches Gesicht mit einer neuen Frage.

In Ernakulam fällt uns auf, dass unser Zug nach Mangalore auch in Gokarna hält, wo wir eigentlich hinwollen. Doch mit dem Wunsch nach Ticketänderung beginnt das alte Spiel mit Indiens Bürokratie. Von Schalter A werden wir zu Schalter B geschickt, dann in Saal C zu Schalter D, der uns jedoch unsere Zugschlafplätze nach Mangalore nicht verlängern kann. Soweit ist alles noch plausibel. Also bitte ich die Dame am Schalter, dass sie uns ein anderes Ticket von Mangalore nach Gokarna verkauft, im selben Zug, aber in einem anderen Abteil. Wieder antworte sie, man könne die Bettenreservierung nicht verlängern. Ich bitte sie wieder zu vergessen, dass wir bereits ein Ticket für diesen Zug haben und mich als ganz neuen Kunden zu betrachten. „Und nun, also“, beginne ich lachend, „würde ich sehr gern zwei Plätze für den Zug von Mangalore nach Gokarna kaufen“. Stille. Sie starrt mich eine Minute an und sagt dann nein, das ginge nicht, unmöglich. Wir könnten im Zug nachfragen, ohne Gewähr. Die ganze Situation erinnert mich an den Toilettenmann im Schloss Cecilienhof in Potsdam, der einmal einen amerikanischen Gast mit gefährlich voller Blase partout nicht auf Toilette lassen wollte, obwohl ich ihm hoch und heilig versprach, ein 50 Cent Stück aufzutreiben, bevor der Gast das Waschbecken auch nur erreicht. Nein, vorher oder gar nicht. Dabei blockierte er mit seiner ganzen Körperfülle die Klotür, was für meinen bereits dickäugigen Gast, der aufgrund der Sprachbarriere leider auch den Grund nicht verstand, fast einer Körperverletzung gleich kam. Na gut , der Vergleich hinkt, da unsere indischen Servicemitarbeiter auch beim konsequentesten Nein weiterhin freundlich bleiben.
Eine Stunde später beschäftigen wir drei Ticketkontrolleure gleichzeitig mit unserem Anliegen. Hektisch wühlen sie in riesigen Namenslisten, blättern durch Formulare, fahren mit dem Finger über Uhrzeiten und Städtenamen, entschuldigen sich und verschwinden für zwanzig Minuten, kommen wieder und plötzlich haben wir zwei Tickets. Wir dürfen 4,5 Stunden länger im Zug bleiben und nach Gokarna fahren, dem Om Beach entgegen. Wir haben zwei Betten in einem 6-Personen Abteil. Die mittlere Liegen sind noch runtergeklappt und dienen als Rückenlehne für die Sitzbänke. Gegenüber sitzt eine sehr ruhige Dame, die ein paar Tage im Süden bei ihrem Mann verbracht hat, welcher im Militär dient. Sie hat wunderbar duftendes, in Bananenblätter eingewickeltes Essen dabei, einen bunten Sari an und eine 48 stündige Zugfahrt nach Rajasthan vor sich. Wir reiben uns immer wieder vor Verwunderung die Augen, wenn unsere Mitfahrer erzählen, wie lange sie auf diesem Platz ausharren werden. Doch in Indien kann man für knapp 10 Euro in 48 Stunden tausend Kilometer weit reisen, den ganzen Subkontinent durchqueren, vom äußersten Norden bis hinunter ans Meer, vom westlichen Mumbai bis ins südöstliche Chennai. Über eine Milliarde Menschen müssen bewegt werden und vielleicht sollten wir weniger auf die Bürokratie schimpfen, denn eigentlich klappt das ganz gut. Auch wir haben in den letzten 4,5 Wochen tausende Kilometer geschrubbt, mit Bussen, Bahnen, Rikschas und Flugzeugen und sind immer angekommen.

Neben uns sitzen auch Katie aus Neuseeland und Rajesh auf England. Die beiden haben ein zweiwöchiges Yogaretreat besucht und sind ebenfalls auf dem Weg zum Om Beach. Katie hat zwei Zentner Snacks dabei, frittierte Yakfrucht und Bananen, Chips, Kekse, reißt alles sofort auf und reicht rum. Die indische Dame lehnt lieb lächelnd ab. Sie hat ganz offensichtlich viel Gesünderes dabei und bestimmt wenig Lust auf 48 Stunden Verstopfung. Katie freut sich derweil über unsere Snickers und Kaugummis, die sich offensichtlich sehr gut mit ihren Chips kombinieren lassen.
Rajesh erzählt von seiner Kindheit im Punjab. Er wuchs in der bereits geteilten Region auf, nach der Spaltung von Pakistan, nach der Völkerwanderung von 10 Millionen Hindus, Sikhs und Moslems, die sich plötzlich auf der ‚falschen’ Seite wiederfanden und auf die jeweilig andere flohen, nach den Morden an mindestens 500 000 von ihnen, die in die Hände der ‚falschen’ Horden fielen. Mit 8 Jahren emigrierte Rajesh mit der Familie nach Birmingham, ohne Englischkenntnisse, dafür mit viel Heimweh. Es sei sehr schwer für ihn gewesen, damals in einer Zeit lange vor Google und Youtube, als er ohne die geringste Vorstellung in dieses neue Land geschmissen wurde. Heute ist Indien ein fast fremdes Land für ihn. Er sagt, es sei ein großer Fehler, ein großes Versäumnis seiner Eltern gewesen, dass er fast nie wieder zurückkehrte bis ins Erwachsenenalter. Den indischen Pass mussten sie abgeben, als sie Briten werden durften. Nun reist er mit Visum durch sein Geburtsland und staunt ebenso wie wir; die Zeit bleibt nicht stehen, nirgends.

Um 22 Uhr ist Bettruhe. Wir klappen die Rückwand hoch und ich krabbel in die Zwischennische. Karime schläft oben, Rajesh unten. Da kein Abteil Türen oder Vorhänge hat, ertönt wenig später aus allen Ecken des Wagons ein Schnarchorchester. Ich stopfe mir Zellstoff in die Ohren und lausche dem Tuckern des Zuges. Wir verschlafen unseren Wecker, der noch auf Mangalore eingestellt war.

8.12.14 Om Beach

Ein fast perfekter Tag

Gegen 9 Uhr springen wir aus dem Zug. Die Sonne grinst am wolkenlosen Himmel mit den Rikschafahrern um die Wette. Wir befreunden uns mit einem englischen Pärchen – nennen wir sie aus rechtlich schützenden Gründen mal Willie und Kate – und teilen ein Taxi. Kurz vor der Ortsgrenze fragt der Fahrer trocken, ob wir Drogen dabei hätten, es gäbe eine Polizeikontrolle. Als Willie seine 150 Valium erwähnt, glauben Karime und ich noch an einen Witz, doch schon schwenkt Kate einen Beutel Tabletten durch die Luft und lässt ihn im BH verschwinden. Zwei Minuten später werden wir rausgezogen. Wir sehen keine weibliche Beamtin und wissen, der BH ist grabschsicher. Karime tut nun das, was er in so einer Situation immer tut. Er geht in die Offensive, springt aus dem Wagen, begrüßt die Beamten, knallt seinen Rucksack auf den Tisch, packt in Windeseile alles aus und redet dabei ununterbrochen auf die Beamten ein. „Nein, wir haben doch keine Drogen. Hier, das ist ein Taschentuch, sehen Sie, und meine Kamera und meine Socken; das ist ein Akku und die Waschtasche können Sie auch gern noch sehen. Kein Problem.“ Insgeheim hoffen wir inständig, dass unsere Teilzeitjunkies nichts in den Taschen ‚vergessen’ haben, doch alles ist sauber. Wir dürfen weiter.
Am Om Beach checken wir ein halbes Dutzend Hütten und finden unser neues Heim, eine einfache Bambushütte mit Matratze, Moskitonetz, Außenklo und Gemeinschaftsdusche. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Alle Hütten des Nirvana Cafés stehen in einem sorgsam gepflegten Gärtchen. Kokosnuss- und Bananenpalmen spenden Schatten. Auf dazwischen gespannten Leinen baumeln die bunten Bikinis der Nachbarn. Hunde schlummern unter den Bambusschaukelstühlen. Die Hütte kostet 350 Rupees pro Nacht, etwa 2 Euro pro Person.
Am Nachmittag klettern wir auf einen Felsen am Südende des Strandes. Im Schatten einer Palme beobachten wir Falken und Adler mit weißen Köpfen. Delfine springen aus dem Meer und immer wieder gleiten ihre glänzenden, grauen Körper durch die seichten Wellen. Wir sitzen und schauen. Alles ist perfekt. Auf dem Rückweg kaufe ich bei einem alten Ehepaar eine Kokosnuss. In Windeseile wird mit einer Machete ein Trinkloch hineingehackt und da ich keinen Plastiktrinkhalm will, schütte ich mir beim ersten Schluck die Hälfte über den Latz und ernte viel Gelächter. Der ältere Herr hackt mir anschließend die ganze Kokosnuss auf; ich setze mich auf einen Stein am Ufer, halte die Füße ins Wasser und matsche mit den Fingern das Fruchtfleisch aus der Schale. Aus unserer Indienreise ist soeben Urlaub geworden.
Am Strand jagen Hunde Kühe, die panisch auf Touristen zurennen, die wiederum panisch ins Wasser flüchten. Vor Schreck hinterlassen sie gleich noch dicke Kackhaufen im Sand, die Kühe natürlich. An den gemütlichen Plätzen liegen sehr leicht bekleidete Damen und werden – manchmal heimlich, meist sehr offensichtlich – von indischen jungen Männern fotografiert.
Wir treffen Willie und Kate. Die beiden sind auf dem Weg zum Cuddle Beach, der etwa 30 Minuten weiter nördlich liegt. Dort soll es einen ‚Bang Lassi’ geben und Willies Augen funkeln aufgeregt, als er uns davon erzählt. Der Bang Lassi, auch Special Lassi genannt, ist ein Joghurt Getränk und wird hier mit einer Zutat angereichert, die ihren Weg normalerweise als grüne Krümelchen in Zigaretten findet. Wir sehen die beiden an diesem Tag nicht wieder.
Als ich später in der Nacht an einem Lagerfeuer Joe und Tom aus England, Erica aus Boston und Christian auf Deutschland kennenlerne, spinnen sich bereits neue Gerüchte um den geheimnisvollen Bang Lassi. Opium sei drin, Hasch und Joghurt. Ich bin glücklich über zwei Schluck Kingfisher-Beer. Karime schlummert bereits unterm Moskitonetz als wir bis spät in die Nacht Lagerfeuerlieder singen und abenteuerliche Reisegeschichten, eine wilder als die andere, austauschen. Der Mond leuchtet hell und rund am Himmel und lacht über unseren Großmut. Irgendwann ist auch der letzte Palmwedel zu Asche verglüht, jeder verschwindet im Dunkel der Nacht und ich krabbel zu Karime unters Netz. Der schmollt, seitdem er fünf mal hintereinander im Rommee verlor und mit vollstem Ernst den großartigen Satz sagte: „Du bist auch so eine schlechte Gewinnerin. Mit dir macht es gar keinen Spaß zu spielen.“ Dann ging er direkt ins Bett. Morgen spielen wir wieder, dann ist alles wieder gut, so wie immer.

9.12.15 Om Beach

Zum Sonnenaufgang sitze ich bereits im Schneidersitz am Strand und mache einen Pranayama Yogakurs. Meine lädierte Lunge ist von den intensiven Atemübungen komplett überfordert und bekommt nach 10 Minuten erste Burnoutsymptome. Mir wird erst kalt, dann schwindlig, dann übel, schließlich muss ich abbrechen und fühle mich sehr versagerhaft. Doch aus dem Morgendunst taucht plötzlich Karime auf und sammelt mein in Scherben liegendes Ego wieder ein. Er ist mir im Morgengrauen gleich hinterher geschlichen und hat mich, gut versteckt hinter einem Felsen, beim Yogaatmen beobachtet. Zumindest mein Herz hat nun wieder so etwas wie Blutdruck. Wir wanken zurück zur Hütte und treffen Willie und Kate, denen es ebenso geht wie mir: die Beine sind weich wie die Badenudel-Schwimmhilfen, mit denen Omis im Sommer gern durchs Freibad gleiten, unsere Sommersprossen leuchten wie Warnblinksignale auf blutleeren Wangen, der Magen streikt und will noch keinen Einlass gewähren. Wir legen uns an den Strand. Wir erzählen den beiden von den ‚Bang Lassi’-Opium-Gerüchten und plötzlich fällt es ihnen wie Schuppen von den noch leicht apathisch blickenden Augen. So verbringen wir den Tag gemeinsam im Liegen, dösen oder lesen oder beobachten die kleine Seifenoper, die sich tagsüber an unserem Strandabschnitt abspielt. Unsere Hüttendorfhunde, eine Bande zerrupfter, aber kräftiger Streuner mit angeknabberten Hängeohren und kleinen Beißnarben um Augen und Schnauze, jagen Eindringlinge aus ihrem Revier und verschnaufen zwischendurch am liebsten in unserem Schatten, eng geschmiegt an unsere Rücken oder ganz gemütlich auf unserem Handtuch. Solange bis der nächste Feind entdeckt wird – dann springt die gesamte Bande auf, wedelt uns im Lossprinten drei Schaufeln Sand ins Gesicht und misshandelt die armen, meist schwächeren Dummköpfe, die ihrem Revier zu Nahe gekommen sind. Einer dieser zerbissenen Verlierer humpelt daraufhin jaulend ins Nachbarrestaurant. Eine Horde Wasserbüffel schließt sich ihm an. Sechs ausgewachsene Rinder latschen an den frühstückenden Gäste vorbei, rumpeln schnaufend durch die Hintertür in den Garten der Hüttenanlage und wühlen sich in aller Seelenruhe durch Kompost und Müll. Karime vergleicht ihre Gehirne mit alten Computerprozessoren aus der Pionierzeit. Erst blinken sie unendlich lange und rechnen vor sich hin, dann spucken sie irgendwann einen Befehl aus. Kopf nach links drehen, zum Beispiel. So stehen die Rinder dann die nächsten halbe Stunde mit nach links geneigtem Kopf herum, während der Rechner die nächsten Befehle büffelt. Und starren träge vor sich hin. Ab und zu bewegt sich etwas Kugeliges den Hals hoch und anschließend der Unterkiefer von links nach rechts. Sehr genügsame Tiere. Wir liegen noch stundenlang am Strand. In unseren Köpfen gibt es keine alten Prozessoren. Und auch keine neuen. Heute gibt es gar keine Befehle.

10.12.15

Juhu, ein neuer Tag und ich springe um 7:00 ins Meer, was mein Körper viel großartiger findet als entspannende Atemübungen, denn sofort weiß das Blut, wo es überall hingehört. Anschließend esse ich eine starke Portion scharfes Gemüsecurry mit Brot und mein Kreislauf ist schnurstracks drei Gänge höher geschaltet als Karimes. Wir klettern auf eine Klippe. Ich will zum Halfmoon Beach wandern, doch wir haben kein Wasser dabei und Karime ist ein wirklich vernünftiger Mensch. Wir streiten uns kurz. Ich weiß gar nicht mehr genau warum, doch er läuft plötzlich wild gestikulierend davon und sagt, dann solle halt jeder machen, was er oder sie will. Ich setze mich und schaue aufs Meer. Mein Kopf ist störrisch und schaut eigentlich nirgends hin, sondern verschluckt sich nur immer wieder an einer dicken Soße aus Frustausdrücken und Egobalsam: „Ach soll er doch … mmppfff … Arsch … zum Mond … Zeit für michhhhmmmpffff … ist doch szzuperrrrr grrr.“ Als sich der Schimpfwortschleier von den Augen löst, schaue ich kurz nach links und sehe ihn versteckt hinter einem Busch. Er lief gar nicht weg. Er steht da und beobachtet mich. Ich winke ein bisschen. Er winkt zurück. Wir laufen dann doch zum Half Moon Beach. Dort angekommen sind wir sehr, sehr durstig. Wir haben 15 Rupees. Das billigste Getränk kostet 25. Wir könnten jemanden fragen. Doch Karimes Zähne sind leider aus Frust akut fest zusammengeklebt und da erlösende Kraftausdrücke nicht so sein Ding sind, rutscht der Ärger schnell in seine Beine, die festen Schrittes zurück in den Dschungel stapfen. Schweigend laufe ich hinterher.
Ein unfassbar leckeres Butter-Paneer-Gericht löst schließlich die Glieder und die Verstimmungen des Tages in Wohlgefallen auf. Trotzdem beschließe ich am Abend mal etwas alleine zu unternehmen. Ich möchte einen Felsen auf der anderen Seite des Strandes besteigen. Karime hält mich – zu Recht – für eine tollpatschige, manisch-neugierige Babygiraffe mit mehr Glück als Verstand. Er behauptet also, er wolle Willie und Kate besuchen und läuft ein Stück mit mir mit, schaut dann etwa zwei Sekunden flüchtig über den Zaun in ihre Hüttenanlage, dreht sich um und sagt: „Tja, sie sind nicht da. Na dann schaue ich mir mal dort den Felsen an.“ Meinen Felsen. Wir klettern nun gemeinsam über kleine und große Brocken im Wasser, verscheuchen ein Dutzend aufgeschreckte Krebse, und erreichen schließlich meinen Zielfelsen. Die Sonne steht tief und ich freue mich auf eine grandiose Aussicht vom Gipfel, doch Karime will nichts davon hören. Der Fels hat einen schmalen Spalt in seiner Außenkante, eine perfekte Trittleiter nach oben. Ich teste die Fugen, nach oben ist sind es etwa 6-8 Meter, ich bin recht schlecht im Höhenabzuschätzen. Karime droht mit ‚Trennung’. Seit ich mir vor circa einem Jahr bei einer Kletteraktion einen Bauzaun in den Arm gerammt habe, streikt er bei jeder in seinen Augen unsinnig riskanten Aktion. Ich kann es ihm nicht verübeln. Es war eine wirklich blöde und leider auch sehr blutige Aktion und ich jammerte wie ein Kleinkind. Von meinem letzten Familienurlaub ohne ihn kam ich mit angeknackstem Handgelenk zurück. Er holte mich vom Flughafen ab und fuhr mich kommentarlos ins Krankenhaus. Kopfschüttelnd. Ich setze mich also brav vor meinen Felsen. Wir flippen flache Steinchen ins Wasser und machen Grimassenselfies, die wir später in Großformat ausdrucken; so schön hässlich sind sie. Plötzlich schlurfen zwei Männer in Flip Flops an mir vorbei, einen Eimer in der einen, eine Angel in der anderen Hand und klettern in Windeseile den großen Brocken hinauf. Wenig später folgt ein gestriegelter Mittfünfziger im Angestelltenlook, weißes Hemd, Bügelfaltenhose, streift seine Mokassins ab und kraxelt am Spalt entlang hinauf zu seinem Feierabendsonnenuntergang. Ich beiße ganz fest die Zähne zusammen. Karime klopft mir auf die Schulter. Zeigt auf den kletternden Hemdmann und sagt: Einheimischer. Zeigt auf mich und sagt: Katrinchen…


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