Tag 53 – Bangkok

Voller Wehmut stellen wir am Morgen fest, dass wir nun zum letzten Mal auf dieser Reise unser Hotel wechseln werden. Wir fahren zur Sukhumvit Road. Alle Hotels sind entweder ausgebucht oder unfassbar teuer. Meistens beides. Es sind noch vier Tage bis Silvester. In einer Seitenstraße entdecken wir das Bangkok Inn. Nach sechs ausgebuchten Hotels in Folge die erste Option. Ein Doppelzimmer mit Fernseher und Bad für 960 Baht. Ein stolzer Hotelpreis, doch dies hier ist keine Hostelabsteige. Wir schlagen zu. Unsere letzten Tage in Bangkok sollen gemütlich werden.

Zwar versuchen wir noch nicht an die Heimreise zu denken, tun es aber doch, und kaufen fleißig Geschenke für Freunde und Familie und uns selbst in den Mega-Malls Platinum Center und MBK Center. Bangkok saugt uns wieder vollkommen ein und all die Inselruhe aus unseren Gliedern. Wir verlieren uns abermals zwischen raumschiffartigen Beton- und Glaslandschaften in einem schier unendlichen Meer aus Menschen, Mopeds und Autos, umgeben von einer dröhenden Wand aus Lärm und Smog, eine glitzernde Scheinwelt des Konsums, aber eben doch nicht nur Schein, so real, dass sie uns ganz in die Gegenwart schmeißt, uns das Gefühl gibt, der Rest der Reise läge bereits wieder weit, weit zurück, und die immer wieder diese Frage aufwirft, ob Erlebtes irgendwo hängen bleibt, ob irgendetwas überdauert, oder nicht doch einfach vom nächsten Moment überschrieben wird. Sind Dinge vergänglich, einfach immer wiederkehrend; hat nichts Bestand in meinem Erleben? Ich fühle mich wie eh und je, zumindest glaube ich das. Fühle mich wie vor meiner Reise, bereit loszuziehen, nur diesmal Richtung Berlin.

Die Gier ist das einzige Beständige, die Gier weiterzumachen, weil nichts bleibt. Ginge sie weg, vielleicht fände ich Ruhe und Ausgeglichenheit. Wäre wunschlos glücklich. Und suchte nicht nach neuen Abenteuern. Es ist schwer zu sagen, was verlockender klingt. Alleine diese Gedanke spiegeln schon wieder die Suche, die Versuchung, die Gier nach der Weiterentwicklung hin zu dem, was ich glaube, werden zu wollen, sehen zu wollen, ohne wirklich zu wissen, wonach ich eigentlich suche. Was bleibt sind nur die kurzen Momente der Einsicht. Genieße den Moment, so platt und abgelutscht diese Aussage klingt - der Moment ist doch das einzige, was man hat. Und in diesem Moment sind wir wieder voll und ganz in Bangkok, die Stadt, welche keine Ablenkung zulässt, ohne Wehmut, ohne Nostalgie über das Vergangene. Jetzt ist wieder Bangkok Zeit.

Bunte Taschen, gewebte Tischdecken, Kissenbezüge, unzählige Shirts, DVDs und Unterwäsche finden ihren Weg in unseren Besitz und hoffentlich noch in unsere Rucksäcke. Wir wählen nun das leichte, gedankenlose Leben, essen zweimal bei McDonalds und fahren Taxi.

Tag 54 – Bangkok

Ich schlafe sehr, sehr lange und genieße den schmalen Luxus unseres Hotelzimmers, während Karime früh am Morgen loszieht und mit der kleinen GoPro unzählige Bilder und Szenen der noch nahezu ruhigen, schläfrigen Stadt festhält. Auch heute ziehen wir nur durch die Straßen, essen Eis, kaufen noch ein paar Klamotten mehr und essen endlich das, was die Thailänder wohl am liebsten essen, einen Hotpot, einen Topf kochendes Wasser, in welchem nach Belieben Salat, Pilze, Möhren, Kohl, Porree, Sojabohnen, Tofu oder Fischbällchen, Hühnchen oder Rind zu einer Suppe gekocht werden, ein Mischung aus geselligem Zusammensein, gemeinsamen Kochen und schlürfen. Kaum Touristen verlieren sich in so einem Hotpot-Laden, wirkt das Angebot doch zu unübersichtlich und unverständlich. Stattdessen tummeln sich an den Tischen um uns herum Thailänder in fröhlichen Grüppchen, die endlos lange eine Fuhre Gemüse, Fleisch und Fisch nach der anderen in ihren Hotpots garen. Wir sind dann auch die einzigen hier, die nur zu zweit um ihren Hotpot „herum“ sitzen, entsprechend schnell fertig und entsprechend wenig vom Servicepersonal beachtet.

Tag 55 – Bangkok

Wir schlendern, fahren mit der Fähre nach Thon Buri, erklimmen die steilen Treppen des Wat Arun Tempels, schielen nach den jungen Mönchen, die uns ebenso heimlich aus den Fenstern ihrer Unterrichtsräume beobachten, schlendern durch das dörfliche Thon Buri, vorbei an kleinen Holzhäuser auf Stelzen, vor denen Vogelkäfige hängen, deren Insassen zur Anhäufung guten Karmas irgendwann freigelassen werden, und essen im indischen Viertel Bangkoks zwei wahnsinnig mies gewürzte Currygerichte. Die Proteste und Demonstrationen werden lauter. Ministerien sind mit Stacheldraht abgeriegelt. Wir werden von einem Soldaten angeherrscht, als wir bei einer vorbeifahrenden Militärkolonne nicht sofort wie alle anderen Fußgänger am Straßenrand stehen bleiben. (Ob sich wohl jemals jemand fragt, ob diejenigen, die die kleinen Vögel fangen, schlechtes Karma bekommen?).

Tag 56 – Bangkok

Der Umbrella Market in Maeklong ist eine Mischung aus Touristenattraktion und eigentlichem Markt, auf welchem mitten auf den regelmäßig befahrenen Schienen einer Bahnlinie Gemüse, Fleisch, Fisch, Obst und Dinge des täglichen Bedarf an die Kleinstadtbewohner verkauft werden. Wir erwischen den letzten Zug des Tages (von 4). Die Bahnlinie wird achtmal am Tag befahren, viermal von ankommenden und viermal von abfahrenden Zügen. Alle Händler müssen daher achtmal täglich ihre gesamte Ware innerhalb von Sekunden von den Schienen räumen, ihre Schirme und Bäuche einziehen, und glotzende Touristen retten, die, durch die verzerrenden Objektive ihrer Kameras starrend, nicht merken, dass sie noch mitten auf der Bahnschiene stehen. Der Markt ist gelinde gesagt ziemlich beeindruckend. Auch wir fahren mit unserem ankommenden Zug einmal quer hindurch. Aus dem Fenster hängend filmen wir überwältigt die Geschäfte und winkenden Menschen, deren Körper Zentimeter von unserem Zug entfernt an den Planen der Marktstände kleben. Eine halbe Stunde später sind wir es, die dort kleben. Nur ein kurzes Hupen kündigt den nächsten Zug an und eine gelassene und gleichzeitig bestimmte Hektik überkommt die Händler, die mit geübten Handgriffen ihre Tische zurückrollen, die Zeltdächer einholen, die Eimer voll hopsender Fische noch ein Stück mit dem Fuß zurückschieben und Karime in letzter Sekunde an der Schulter noch die paar Zentimeter zurückziehen, die ihm zur Unversehrtheit fehlten. Ein Spektakel, das keines ist, denn die gleichgültigen Gesichter spiegeln den sich wiederholenden Alltag und bilden einen großartigen Kontrast zu den verstrahlten Gesichtern der Besucher, denen anzusehen ist, dass sie nicht fassen können, was sie hier gerade sehen durften.

Tag 57/58 – Bangkok

Da ist er, der letzte Tag unserer Reise. Heute wollen wir noch einmal alle Ecken Bangkoks einatmen, noch einmal mit der Fähre über den Fluss fahren, noch einmal auf ein Hochhausdach klettern, noch einmal einen Sonnenuntergang erleben und vor allem das neue Jahr begrüßen. Es ist Silvester. Alles kommt zusammen. Heute sind wir wieder mit Totti und Philipp vereint. Sie haben unsere vage Verabredung nicht vergessen. Silvester in Bangkok, wir wollten uns treffen und nun holen wir sie aus ihrer Unterkunft in der Nähe des Hauptbahnhofs ab. Alles fühlt sich nach Höhepunkt an, wir starten beschwingt in den Tag. Unsere gepackten Rucksäcke werden im Zimmer der beiden verstaut, heute Nacht brauchen wir kein Hotelzimmer mehr.

Nach einem sehr mittelmäßigen Mahl in Chinatown geht es mit der Fähre rüber nach Thon Buri. Wir suchen noch einmal dieses dörfliche Gefühl, doch verlaufen uns stattdessen in kleinen Gassen, laufen kreuz und quer durch ein verschlafenes Wohngebiet, bekommen Hunger und finden keinen Imbiss. Argwöhnisch betrachten uns die Anwohner, schicken uns nach links und rechts, jeder in eine andere Richtung und bald können wir nicht mehr unterscheiden, ob man sich über uns lustig macht, oder uns einfach wahllos eine Richtung zeigt. Irgendwann finden wir einen kleinen Nachbarschaftspark. Der Park hat wenig zu bieten, außer einer Toilette, einer unfassbar modernen und sauberen Toilette. Unsere Backpacker-Körper sind inzwischen auf solche Reize geschult. Lasse nie eine gute Toilette aus. Philipp kramt die (immer!) im Rucksack verstaute Toilettenpapierrolle raus und verschwindet knapp 20 min im kleinen Klohäuschen. Ein ältere Herr dreht währenddessen seelenruhig seine Runden im kleinen Park und fegt ab und zu über die Keramikfliesen. Hier versteht man die Verwandtschaft aus Arbeit, Kontemplation und Meditation. Ein Park zum Innehalten.

Irgendwie klettern wir durch ein Gebüsch und landen schließlich wieder am Ufer. Wir entscheiden uns nach rechts zu laufen und erreichen tatsächlich unsere Fähre. Auf der anderen Seite setzen die Silvester-Partyfähren ab. Wir sind dabei.

Arg zusammengequetscht erreichen wir flussaufwärts eine Partyhochburg. Die Masse verlässt hier das Boot und wir trampeln einfach mit. Der Ort stellt sich als riesiges Einkaufszentrum heraus. Tausende Menschen drängeln sich durch die Open Air Einkaufsmeilen, vor den Fastfoodrestaurants wird geschubst und gerangelt als gäbe es was umsonst. Man will nur rein, einen Tisch erwischen und essen, bei Pizza Hut oder Mc Donalds. Wir finden alles plötzlich nicht mehr so aufregend, quetschen uns erneut durch die Masse auf die Straße und laufen nordwärts auf der Thanon Charoen Krung Richtung City. Philipp quängelt, er will ein Taxi nehmen, wir fangen an zu winken, doch keines will uns haben. Irgendwann explodiert vor uns ein China Böller. Die Druckwelle ist so groß, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde an einen Anschlag glaube. Alles ist plötzlich still, nur ein Fiepen dröhnt im Ohr. Ich drehe mich zu Karime um, der vermutlich so panisch wie ich guckt. Mein Gehirn arbeitet so schnell, dass ich alles in Zeitlupe wahrnehme. So müssen sich Katastrophen anfühlen. Man reagiert nur, der Kopf schaltet auf Autopilot. Doch niemand schreit, niemand rennt, keine Panik bricht aus. China Böller wachsen offenbar mit der Nähe zu China. Jetzt schießt nur noch Adrenalin durch den Körper und verbrüdert sich mit dem Hong Tong Whiskey aus Philipps großer 1,5 l Cola Flasche.

Wir nehmen den Skytrain zum Siam Square. Hier ist das Epizentrum der Feiernden, der Time Square Thailands. Mehr als 100000 Menschen drängen sich zwischen mehrere Bühnen und warten auf Mitternacht. Wir stärken uns mit Burgern und schleichen in ein Hochhaus, dass ich mit Karime am Tag zuvor ausgekundschaftet habe. Es liegt genau neben dem Platz der Feierwütigen, und auf der Dachterrasse steigt eine Etepetete Party. Nach zwei Monaten Leben aus dem Rucksack sehen wir aus wie abgelebte Penner. Als der Fahrstuhl im letzten Stock hält, ducken wir uns fix an der Security vorbei auf den Balkon. Die Aussicht raubt den Atem. Irgendwann werden wir erwischt und müssen ins Haus. Unschlüssig drücken wir uns im Hausflur rum. Geschniegelte Menschen mit weißen VIP Kärtchen laufen an uns vorbei und in die Party. Die Security Gorillas beäugen uns missmutig. Wir harren aus und drücken uns die Nasen an der Scheibe platt. Es sind nur noch wenige Minuten. Plötzlich winkt uns ein kleinerer Gorilla rüber; wortlos schlüpfen wir raus auf die Terrasse. Mitternacht. Ein unfassbares Feuerwerk bricht los. Wir stehen und staunen, fallen uns in die Arme, Philipp tanzt, Karime nimmt noch einen Schluck aus der Cola Flasche. Da ist er, der Höhepunkt, unser Flieger geht in 8 Stunden.

Zurück auf dem schon halbleeren Platz wird bereits der Müll zusammengefegt. Wir hängen vor einem Getränkemarkt rum, kaufen ein paar Schnäpschen und versuchen uns noch einmal alles schön zu trinken. Doch der Höhepunkt ist vorbei, die Menschen strömen nach Hause. Wir erwischen ein Taxi und fahren zu Totti und Philipp. Die private Unterkunft ist stockfinster. Hier wurde nicht gefeiert, die Hotelmama und ihr pfiffiger Sohn, der uns am Morgen durch das Haus geführt hatte, schlafen tief und fest. Ich überlege kurz, was wir wohl machen würden, wenn die beiden ihren Schlüssel nicht mehr fänden. Eine Minute später stehen wir vor verschlossener Zimmertür mit komplett verbogenem Schlüssel. Nichts zuckt, der Schlüssel ist hin, die Tür ist zu, das Haus verwaist, und unser Gepäck im Zimmer. In etwa 2 Stunden müssen wir zum Flughafen. Noch lachen wir. Zum Glück laufen Adrenalin und Whiskey noch Hand in Hand durch unsere Adern. Es hilft nichts, wir klingeln die Hausmama wach. Nach endlosen Minuten regt sich ein Stimmchen. Verdrossen guckt die liebe Frau auf den verbogenen Schlüssel. Mir kommt der gruselige Gedanke, dass es eventuell keinen Zweitschlüssel geben könnte. Sie verschwindet wieder. Doch es gibt einen. Glück gehabt. Kurze Zeit später kommt die geduldige Hausmama mit dem Ersatzschlüssel und schließt ohne viele Worte das versperrte Zimmer auf. Dankbar tätschel ich meinen Rucksack, die verpackten, gebündelten Bilder für Karime und meine Eltern, meinen Laptop, auf dem meine Bilder, mein Tagebuch, meine Erinnerung ruhen. Wir haben es bis hierher zusammen geschafft, nun wollen wir auch gemeinsam nach Hause fahren. Die verbleibenden 2 Stunden verbringen wir mit Totti und Philipp auf der Dachterrasse. Der Mond scheint uns ins Gesicht, die kühle Brise beruhigt die adrenalingeschwängerten Nerven, ich nehme noch ein paar Züge von Tottis burmesischen Zigarillos. Es geht los. Wir drücken uns herzlich. Philipp und Totti fahren weiter nach Süden bis nach Malaysia. Wir machen uns auf den Weg zum Flughafen. Alles ist gut. Ich bin nicht traurig. Ich freue mich auf Berlin. Ich freue mich über alles, was ich in den letzten zwei Monaten erleben durfte. Totti und Philipp winken uns minutenlang nach. Ihre Silhouetten schimmern im Mondlicht. Vielen Dank, schönes Thailand.


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