Tag 20 – Phayao

Wir verabschieden uns von Chiang Rai und nehmen den ersten Bus nach Phayao, eine kleine Stadt zwei Stunden südlich von hier, die an einem See liegt und behauptet das thailändische Wien zu sein. Wer auch immer das behauptet hat, war sicher noch nie in Wien, aber Phayao wird uns trotzdem sehr schnell das Herz stehlen. Zunächst stehen wir am Bahnhof und schwitzen in unserem Bus, der erst abfährt, sobald genügend Gäste da sind, also nach mehr als einer Stunde. Die Fahrt ist unfassbar preiswert, dafür sind wir die ganze Zeit eingequetscht auf harten Sitzen und halten unsere Birne aus dem halboffenen Fenster, nach frischer Luft japsend. Nach der ersten halben Stunde haben Totti und Philipp einen dritten Fahrgast auf ihrer Sitzbank und ich bin gar nicht neidisch über ihren spontanen intensiven Kontakt mit den Einheimischen. Dank meiner ungemein praktischen Kompasskette aus Rom finden wir in Phayao nach wenigen Minuten den Weg zum Strand und laufen bei rotem Sonnenuntergang an der Promenade des Sees entlang. Unsere gewählte Unterkunft liegt in der Prasat 1 Alley, riecht noch nach neuer Farbe und lockt mit gemütlich aussehenden großen Betten und gutem Preis. Philipp rümpft die Nase und murmelt was von übertriebener Präsidentensuite und nimmt dann aus Prinzip das kleinere, genauso teure Zimmer (500 Baht = 12,50). Zwar hat er damit recht, dass es hier bestimmt auch irgendwo Zimmer für 250 Baht gibt, aber Karime und ich sind schon 2 Wochen länger unterwegs und haben entschieden, dass unser reisender Hintern ein schönes Bett verdient und dass 1 oder 2 Stunden Suche, immerhin unsere verschenkte Lebenszeit, wertvoller als 200 gesparte Baht sind.

Wir haben Glück, denn nur samstags, also heute, findet in Phayao der große Nachtmarkt statt. Ausgiebig bepackt mit Sushi, Hühnerspießen, gebratenem Reis, Kürbisgemüse, Mini-Spiegeleiern, Maiskolben, Donuts und anderem Süßkram, setzen wir uns auf die Bordsteinkante und veranstalten ein kleines Picknick. Phayao ist zum Glück nicht wie Wien, denn das gibt es ja schon, aber ein echter Geheimtipp abseits der Standard-Touristenrouten.

Tag 21 -Phayao-

Wir erwachen ausgeschlafen und beschließen enthusiastisch, dass wir unbedingt diese Reise verlängern müssen. Mit schlechtem Gewissen, an Weihnachten und meine traurigen Eltern denkend, schreibe ich eine Email an STA Travel in Berlin. Als ich ihnen ein paar Stunden später meine Kreditkartennummer am Telefon durchsage, ist der neue Flug auch schon fix. Wir bleiben also bis zum 1.1. und verbringen Neujahr im protestierenden Bangkok, das bis dahin hoffentlich nicht in einen Bürgerkrieg rutscht. Mit einer Mischung aus Euphorie und dem verdienten mulmigen Magengefühl starten wir in den Tag. Na gut, gestartet wird heute nicht viel, denn in Phayao sollte man vor allem einfach ausspannen. Ich setze mich also an die sonnige Promenade zwischen ein paar Palmen und schreibe mein Tagebuch. Karime läuft mit der Kamera bewaffnet wie ein lauernde Fuchs die Promenade auf und ab und schleicht einigen Mönchen hinterher, von denen er später wohl eines der schönsten Bilder unserer Reise schießt. Das fand auch National Geographic und druckte das Foto ins März '14 Heft.

Als Philipp plötzlich mit einem geliehenen Roller aufkreuzt, ist meine Konzentration auch schon dahin. Wie spielende Kinder wechseln wir uns auf dem kleinen Scooter ab und fahren, beäugt von belustigten Thais, nacheinander, allein und auch zu zweit auf der Promenade rum, üben Kurven, Anfahren, Beschleunigung, Bremsen. Im seichten Fahrtwind fühlen wir uns plötzlich cool genug für den Straßenverkehr und beschließen noch einen Roller leihen und ein bisschen die Gegend zu erobern. 10 Minuten später mustert die Gästehausmama Karime und mich, kindlich verstrahlt vom Rollererlebnis, mit skeptischem Blick und zeigt auf zwei Fahrräder vor der Tür, die sie uns vermutlich aus Angst um ihren Roller, den sie sonst privat fährt, direkt für umsonst anbietet. Wir erinnern uns spontan an die suppenden Knie der Chinesinnen aus Chiang Mai und stimmen dankbar zu. Philipp betrachtet uns frisch gebackene Fahrradbesitzer 2 Minuten später mit einer Mischung aus Enttäuschung und hochmütiger Belustigung. Euphorisch nickend verkünden wir, dass wir mit den Rädern bestimmt fast genauso schnell sind und düsen auch gleich davon. Nach der ersten Kurve bin ich dann auch sofort heilfroh, dass ich nur ein Fahrrad fahre, als ich fast mit einem irritiert ausweichenden Rollerfahrer zusammenstoße. In Thailand herrscht Linksverkehr. Vergessen.

Phayao ist sehr übersichtlich und eine halbe Stunde später haben wir unser Ziel auch schon erreicht. Philipp fragt uns, wie die Landschaft so war, denn er hat so konzentriert auf die linke Fahrbahn gestarrt, dass er nichts anderes wahrnehmen konnte. Zum Tempel kann ich nicht viel sagen. Mit meiner kurzen Hosen und dem kurzen Shirt ziehe ich sofort ungewollt die ebenfalls ungewollten Blicke der Mönche auf mich und verdrücke mich schamvoll auf den Parkplatz und lese ein Buch. Lange Kleidung ist nicht nur gewünscht, sondern auch angebracht in Thailands Tempeln und ich möchte nicht diejenige sein, die eine bis dato disziplinierte, reichlich gutes Karma anhäufende Mönchskarriere, mit ihren - im Moment nicht mal sehr ansehnlichen - nackten Beinen durcheinander wühlt.

Nach Sonnenuntergang sitzen wir bei unserem Gastwirt Peter, so sein Name auf dem Menü. Philipp sagt: Bratfett im Rücken und Blick auf's Wasser, so muss das Leben sein. Er sitzt tatsächlich 5 Zentimeter neben dem Bratfett spritzenden Grill, in den Peter zwei aufgetaute Fische reinschmeißt und uns anschließend beichtet, dass er auch wirklich gar nichts anderes da hat, aber gern zum Markt für uns fährt, wenn wir was bestimmtes wollen. Wir schauen auf die traurigen Filets und lehnen dankend ab, teilen uns zwei winzige Portionen Kartoffelbrei und laufen zur Fressmeile am Bahnhof. Die Essensauswahl wird auch hier weniger glücklich und nach vier ungenießbaren, suppenartigen Nudel- und Reisgerichten, mampfen wir letztendlich den Hunger mit frittierten Bananen weg, während Karime, der sich in den Kopf gesetzt hat, einen Burger Laden zu finden, erfolglos durch die dunklen Straßen streift. Es ist schon manchmal lustig, wenn Karime, ein unwiderrufliches Nahrungsziel fest im Kopf verankert, mit Tunnelblick und der versteinerten Miene eines hungrigen Jägers an der reich bestückten Nahrungspalette unsere Gaststädte vorbeistapft und letztendlich lieber hungrig ins Bett geht, als sein Ziel zu modifizieren.

Wir muntern ihn auf und kaufen in einem Spielzeugladen, der merkwürdigerweise, einsam die dunkle Straße beleuchtend, um 22 Uhr noch aufhat, einen Ball, mit dem wir anschließend am Sportplatz neben der Promenade bis tief in die Nacht Basketball spielen. Natürlich gewinnt Karime alle Spiele und ist trotzdem eingeschnappt, als ich das Spiel leicht sabotiere um es ihm schwerer zu machen. Er sagt irgendwas von Unsportlichkeit. Ich! Unsportlich! Wer hat denn je sowas gehört. Als Revanche kitzel ich ihn später im Schlaf an den Fußsohlen.

Tag 22 – Phayao – Chiang Mai

Wir verlassen das entspannte Phayao und fahren wieder mal nach Chiang Mai. Eigentlich wollen wir jetzt weiter Richtung Osten, doch wir haben zwei Drittel unserer Klamotten beim Pao Come Hausmensch in Chiang Mai gebunkert und müssen sie nun noch abholen. Der Bus ist diesmal zwar etwas komfortabler, doch nach einer Stunde steigt eine Mutter mit ihrem zuckersüßen, hyperaktiven Söhnchen ein, das zunächst den ganzen Bus erkundet, dann mit Karime feixt und sich anschließend mächtig in die Windel kackert. Die junge Mama wickelt ihn also direkt auf unserem Nachbarsitz und wir überlegen, ob man heutzutage auch Kinder zeugen kann, die nicht kacken, denn Kinderkacke ist die schlimmste Kacke von allen.

Unser Hausmensch in Chiang Mai hat leider kein Zimmer mehr für uns und so checken wir im Eagle House gleich gegenüber ein, eine Budget-Hotel, dass sich auf die Fahnen schreibt, besonders öko zu sein und im hauseigenen Restaurant nur bio zu kochen. Wir erkunden jedoch noch ein letztes Mal den Nachtmarkt und Philipp passiert diesmal das, was mir beim ersten Nachtmarktbesuch auch widerfuhr, er verfällt in einen wahren Kaufrausch, und verlässt kein Geschäft ohne Hose, T-Shirt oder anderen Schnickschnack, den er nun auch noch in seinen riesengroßen Rucksack stopfen muss. Wir gönnen unseren Beinen an unserem letzten gemeinsamen Abend eine besondere Wohltat und machen eine Dr. Fisch Massage, ein neues Trendding, beim dem man seine stinkenden Botten zu harmlosen, unschuldigen Fischen ins Aquarium steckt, die sich dann irgendwie grundlos, aber verlässlich wie ein Uhrwerk draufstürzen und angeblich gern die Hornhaut abknabbern, die Durchblutung fördern und weiß der Geier was noch für tolle Wirkung auf die Füße haben. Wir buchen 10 Minuten und ich halte es nicht einmal 10 Sekunden aus. Ein riesiger Schwarm saugender Fische stürzt sich auf meine Füße und Fußsohlen und ich habe wohl kaum je ein ekligeres Gefühl an einem Körperteil gespürt. Ich habe keine Ahnung, wie diese Menschen, die ich täglich mit im Fischbassin baumelnden Beinen, den Blick stur auf das Handydisplay gerichtet, die Beine bis knapp unters Knie mit Fischen übersät, wie diese Leute das aushalten. Philipp hält mit gequältem Gesichtsausdruck volle 10 Minuten durch, denn er hat schließlich dafür bezahlt. Karime bekommt bereits einen Dreioktavenlachkrampf, sobald die Fische nur auf seine Fersen zusteuern; und ich verdränge diese Aktion ganz fix in dieselbe dunkle Schublade in meinem Kopf, in der bereits der Elefantenritt schlummert.

In dieser Nacht schlafe ich nervös und traumreich auf unserem harten mit Sprungfedern verminten Bett und freue mich auf unsere Fahrt nach Osten, die wir morgen Abend antreten wollen.

23. Tag – Letzter Tag in Chiang Mai

Unser Bus geht erst um 19 Uhr und so verstauen wir unsere ausgecheckten Rucksäcke hinter der Rezeption und gönnen uns erstmal ein wirklich leckeres Bio - Curry zum Frühstück. Vor der nächsten großen Etappe wollen wir lieber etwas entspannen und verbringen den Tag ruhig. Ich sitze ein paar Stunden unter den Palmen der Eagle House Terrasse und lade mir Musik auf mein Handy. Tottis Darmvirus hatte sich eine Woche im Magen versteckt und versaut ihr zur Abwechslung heute nochmal den Tag. Karime erkundet die Tempel der Stadt und wir treffen uns mit Philipp im von Bäumen gesäumten Garten des Wat Phra Sing Tempels. Hier sitzen die thailändischen Frührentner im Schatten und lesen Kitschromane oder spielen Schach. An den Bäumen hängen Schilder mit buddhistischen Sprichwörtern. Es geht viel um Ausgeglichenheit, Beherrschung der Gefühle und Begierden und so was und alles ist auf Englisch, also direkt an uns unausgeglichene, unbeherrschte, gierige „Westler“ gerichtet. Ich sehe dann auch europäisch aussehende junge Frauen in thailändischen Pluderhosen, die ich hier noch keine Thailänder habe tragen sehen, ganz andächtig durch den Garten wandern, der Erleuchtung nahe. Karime und ich laufen zur Post und schicken ein kleines Weihnachtspaket für die Daheimgebliebenen ab und schlendern danach zum letzten Mal durch die schmalen Straßen von Chiang Mai, vorbei an den unzähligen, zweigeschossigen Gästehäusern, den Garküchen und Märkten, den kleinen Restaurants, in denen fast immer zur Straßenseite hin gekocht wird, so dass jeder sieht, was er frisches oder weniges frisches auf den Teller bekommt. Hinter Glasscheiben hängen die toten Enten und gekochten Hühner, die Geschwister schwimmen in großen Kochtöpfen, deren Inhalt, ein Sud, den ganzen Tag vor sich hin köchelt und als Grundlage jeder Suppe genommen wird. Die Gäste tippen nur auf den gewünschten Inhalt, Möhrchen, Sprossen, Schweinehack, sehr alt aussehende Eier oder gefüllte Wantans, und innerhalb von 30 Sekunden bekommt man seinen Teller und sitzt neben den schlürfenden Thais. Da diese Garküchen fast nie eine vegetarische Variante anbieten, und Karime Suppen nicht als vollwertige Mahlzeit ansieht, sieht man uns so gut wie nie Suppe schlürfen. Dabei sind diese Straßenküchen mit Abstand die häufigste Nahrungsquelle. Thais essen so gut wie ständig diese Suppen. Man sieht sie bereits um 7:00 morgens, und auch noch um 2 Uhr nachts. In der dunkelsten Straße leuchtet bestimmt irgendwo das Lämpchen einer Suppenküche und eine Familie sitzt um mehrere Schälchen dampfender Nudeln herum. Thais essen eigentlich immer, zu jeder Uhrzeit, nicht nur Suppen, aber vor allem gerne Suppen.

Ich bestelle mir im Bio-Restaurant vom Eagle Haus kurz vor der Abreise noch einmal mein Lieblings-Cashew Gericht und packe das heiße Essen plus Reis in eine Plastiktüte, so dass ich später im Bus ein Abendbrot habe. Meine norwegische Freundin Toneline aus Aix, eine Chemikerin, hat mir mal ausführlich erklärt, wie ungesund es ist, heißes Essen oder Tees in weiche Tüten oder Plastikflaschen voller Weichmacher zu verpacken. Doch bereits am ersten Tag unserer Anreise mussten wir feststellen, dass Plastik auf der Liste der Geißel Thailands gleich auf Platz zwei hinter dem Sextourismus liegt. Alles wird hier in Plastiktüten verpackt. Ich kaufe mir Mangos am Straßenrand, Plastiktüte drum, ich bestelle mir eine Suppe und sie wird aus dem heißen Topf in eine Plastiktüte gegossen, Knoten rein und bitte schön, zum Mitnehmen. Nahezu alle Thais kaufen morgens, mittags, abends so ihre Straßensnacks ein. Da jeden Abend ein riesiger Trubel auf den Essensmärkten herrscht, glaube ich zudem, dass Thais sehr wenig zu Hause essen. Jeder kauft sich, was er will, Hühnerspieße in Plastiktüten, Reis in Plastiktüten, Eierkuchen in Plastiktüten, sogar die Cola Dose wird nochmal in eine Plastiktüte eingepackt, inklusive Plastikstrohhalm. Dann trifft man sich in der Mitte des Marktes auf Plastikstühlen, isst alles auf und hinterlässt einen riesigen Berg Plastikmüll. Jeden Abend. Nicht, dass ich glaube, dass man bei uns weniger Plastikmüll produziert, im Gegenteil, doch hier fällt es extrem auf. Ich habe schon angefangen zu überlegen, mir eine Schale zu kaufen und die Verkäufer zu bitten, einfach alles direkt in die Schale zu legen. Besteck haben wir uns jedenfalls schon mal zugelegt, so müssen wir wenigstens nicht jedes mal am Plastiklöffel lutschen.

Wehmütig und einen letzten Blick auf Chiang Mai werfend, fahren wir ein letztes Mal zum Busbahnhof. Die Stadt war nun so lang der Fixpunkt unserer Nordthailandreise, dass wir uns schon richtig eingelebt haben, wir kennen unseren Lieblings-Fruchtshake-Laden, wissen, wo die beste Apotheke ist, wo man morgens den dicksten Eierkuchen kriegt und den leckersten Kräutertee. Hier haben uns Fische an den Versen gelutscht, wir haben im Burritoladen mal die Zeche geprellt, als im Trubel der Loi Krathong Fests plötzlich alle Gäste zum Glotzen auf die Straße liefen und wir gleich mit, hier haben wir unsere Papayasalate, Currys und Milchshakes dem Porzellangott geopfert und 24h mit Fieber unter dem Ventilator im Pao Come Haus geschwitzt oder gefroren. Chiang Mai war unsere erste thailändische Liebe und so wird die Stadt etwas Besonderes bleiben, auch wenn wir uns nun auf den zweiten großen Teil unserer Reise freuen: Ost- und Zentralthailand.

Um 19 Uhr rollen wir aus der Stadt. Totti und Philipp wollen in ein paar Tagen nach Pai und so trennen sich unsere Wege. Unser Ziel ist Khon Kaen im Osten des Landes, von dort wollen wir den Zug nach Nong Khai nehmen und noch einmal den Mekong und die Grenze nach Laos besuchen. Die Reise wird insgesamt über 15 Stunden dauern. Unser Plan in Schichten zu schlafen, immer zwei Augen auf Taschen und Wertsachen, springt nach einer Stunde bereits mit meinen wollenen, schneeweißen Schäfchen über die Klippe. Karime schläft sowieso, Schicht hin oder her. Doch der Bus bringt uns sicher durch Thailands wilden Osten nach Khon Kaen, wo wir um 5:30 Uhr morgens einrollen. Mit dicken Augen sitzen wir auf einer Bank im dunklen Bahnhof, zutschen an einem Tetrapack Schokomilch und warten auf die ersten Sonnenstrahlen.


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