DOHA

Die brütende Hitze schlägt uns ihre feuchte Faust mitten ins Gesicht. Karime und ich steigen gegen 5:00 aus dem Flieger hinaus auf das katarische Rollfeld. Es ist noch stockfinster. Nach der kurzen obligatorischen Kreditkartenfrage wird uns ohne ein Wimpernzucken ein Monatsvisum in den Pass gestempelt und plötzlich stehen wir hier, vor dem Flughafen, umringt von Taxifahrern, etwas orientierungslos und erahnend, was die Sonne auf diesem Breitengrad so anstellen kann, tagsüber. Sie steigt nun auch binnen Minuten senkrecht nach oben und begleitet uns, bereits entschlossen die Stadt per Fuß zu erkunden, mit einem brutalen Grinsen. In der ersten Morgenstunde lässt mein Kopf nur drei Gedanken zu: Hitze, Hunger, Gepäck zu schwer. So schleppen wir uns erst ein paar Kilometer die Corniche hinunter und landen schließlich in der einzigen bereits geöffneten Frühstücksmöglichkeit bei einem überteuerten Sandwich mit Pommes in einer unterkühlten Hotellobby. 6:00 Uhr morgens, Doha, Pommes rot-weiß - serviert von einem sehr, sehr freundlichen Kellner. Bislang haben wir noch nicht viele „echte“ Kataris gesehen, aber bisher wissen wir auch noch nicht, wie man sie unterscheidet. Stattdessen gibt es Männer mit roten Filzkappen, langen braunen afghanischen Roben, Männer im indischen Hemd-Hose-Schlappen Stil, weiße Käppchen, braune Käppchen, Nike Sportanzüge, zerschlissene Jeans, Männer mit Kopftüchern, Männer ohne. Wir hören viele Akzente und oft erinnern sie an den indischen Subkontinent. Unser Taxifahrer zum Markt kam vor 8 Monaten aus Sri Lanka und wartet eigentlich auf einen Job in Dubai. Unser zweiter Taxifahrer kommt aus dem indischen Bangalore und kann es nun nach 5 Jahren kaum abwarten wieder zurückzugehen. So richtig Spaß scheint Katar den Beiden nicht zu machen. Aber offenbar gibt es hier Jobs, viele Jobs. Nach unserem reichhaltigen Frühstück schleichen wir im Zeitlupentempo die Corniche herunter bis zur West Bay. Postkarten Skyline aus gläsernen Prachtbauten, einer türkisen Lagune und den Holzbötchen der Perlentaucher. Wir kühlen unsere Füße. Diese haben sich in der brüllenden Hitze bereits so sehr ausgedehnt, dass sowohl Karimes als auch meine Schuhe nicht mehr passen. Ab 12:00 humpeln wir über arabischen Sand. Alles ist verstaubt, abgesperrt, kulissenartig und irgendwie ist nichts fertig. Überall Baustellen. Wir renken unsere Hälse und stielen hoch zu den baumelnden Fensterputzern. Da hat der oder die Architekt_in einfach mal die Egoschiene durchgezogen, denke ich. Diese Häuser kann man nur mithilfe suizidal veranlagter Industriekletterer putzen, und das hat er oder sie natürlich gewusst. Und sie trotzdem wie übergroße, penisartige Raumschiffe gebaut. Wir kühlen unsere verschwitzten Nacken in einer Mall runter. Auf minus 15 Grad Celsius. Hier ist es so kalt, dass ich direkt in den Winterschlafmodus falle und partout nicht mehr aufstehen will. Meine Augenlider sind plötzlich so schwer wie die schlurfenden Schritte der Einwohner. Die Besucher dieses Einkaufszentrums wirken so gar nicht, wie die schwitzenden Arbeiter auf der anderen Seite der Glasscheiben. Ein überspitzter Prototyp: Papi in weißem Gewand, Mami komplett in schwarzer Burka verhüllt, 2 Kinder, roter GMC, Range Rover oder Dodge Ram. Irgendwann fällt uns auf, dass wir sie immer wieder sehen, diese roten Brummischlitten. Und dann beschleicht uns plötzlich dieses dumpfe Gefühl, dass es immer wieder dieselben Autos sind, die auf der Corniche stundenlang aus purer Langeweile U-Turns fahren. Am Abend schlendern wir durch den alten Souk, den Markt. Alt ist hier nur die Idee. Eine selbstgebastelte Altstadt, neu, auf alt getrimmt. Sie erinnert mich an Potsdam Babelsberg, das Filmstudio. Karime und ich genießen grinsend die ausklingende Szenerie des Abends. Gefühlt einhundertmal reitet die Gendarmerie an uns vorbei. Herausgeputzt im feinsten Kostüm auf weißen Prachtpferden. Wir überlegen kurz, dem ganzen Spiel ein wenig Aufregung einzuhauchen und grübeln nach einem Streich. Sie ist doch irgendwie absurd komisch, diese rätselhafte Stadt, in der trotz „Wachstum“ augenscheinlich nichts passiert, eine Glas- und Betonkulisse mit sich abrackernden Statisten, die darauf warten bezahlt zu werden. Und weiter zu ziehen. Das andere Doha, was sich offensichtlich hinter dieser Glasfassade befindet, das geschäftige Doha, das vielleicht im anderen, weniger prunkvollen Teil der Stadt zum Leben erwacht, können wir in unserem winzig kurzen Aufenthalt nicht kennenlernen. Auch für das wirklich beeindruckend schöne Museum für Islamische Kunst haben wir kaum Zeit. Aber allein das wäre vermutlich ein Grund noch einmal zurückzukehren. (Randnotiz: Die ist ein persönlicher und kein journalistischer Blog. Alle Eindrücke sind ganz persönlicher Natur und sollen keine vermeintlichen Tatsachen darstellen. Ein Jahr nach dieser Reise, diesmal im indischen Staat Kerala, lernten wir eine junge Studentin kennen, welche ihr ganzes Leben in Doha verbracht hatte und diese Stadt liebte. Für sie war sie alles andere als eine Kulisse; hier lebten Familie und Freunde, hier ging sie zur Schule, hier passierte ihr gesamtes bisheriges Leben. Doha war ihre Heimat, ihr Sehnsuchtsort, selbst wenn sie nun zum Studium zu den indischen Großeltern gezogen war. Das ist die andere Seite. Zwei Menschen, zwei Wahrheiten, das Schöne, Interessante und einzig Wahre im Leben.)


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